Kabuki-Theater im österreichischen Nationalrat

Kabuki ist die traditionelle japanische Form des Theaters, die sich durch eine besonders stilisierte Form auszeichnet.  Die Stücke sind großteils hunderte von Jahren alt; die Handlung, die Figuren, auch die Kostüme und Inszenierung sind längst bekannt. All das tut der Popularität dieser Kunstform jedoch keinen Abbruch. Man konzentriert sich auf der Bühne auf die Perfektion der Ausführung, die das gebildete Publikum beurteilen kann und zu schätzen weiß.

Bild: GanMed64 auf flickr cc-by-sa
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Was das mit österreichischer Innenpolitik zu tun hat? Wir beobachten im Parlament ganz ähnliche Prozesse. Die Handlung geht in etwa so:

Die Opposition leidet immer unter einem Mangel an öffentlicher Aufmerksamkeit. Im Vergleich zur Bundesregierung kommt sie in allen Medien signifikant weniger vor, und wenn, dann hauptsächlich, um auf Themen zu reagieren, die die Regierung setzt. Eigene Themen zu setzen, gelingt ihr nur ganz selten.

Eine Möglichkeit, das doch zu versuchen, sind Entschließungsanträge im Nationalrat. Eine Entschließung ist kein Gesetzesantrag, sondern eine Resolution an die Bundesregierung oder ein Regierungsmitglied. Die Regierung wird darin vom Parlament aufgefordert, ein Gesetz mit einem bestimmten Inhalt auszuarbeiten und dem Parlament zur Beschlussfassung “zuzuleiten”, wie es heißt. Auch die Regierungsparteien bedienen sich gerne dieses Instruments, um ihre Absichten publik zu machen, bevor oder während die Expert*innen in den Ministerien an den kokreten Gesetzesmaterien arbeiten.

Eine beliebte Anwendung dieser Methode für die Opposition ist es nun, einer Koalitionspartnerin die eigenen Standpunkte als Anträge vorzusetzen. Die Logik einer Koalition – aller Koalition auf allen Ebenen, auch in den Bundesländern, egal, welche Parteien daran beteiligt sind – verlangt nämlich als Minimum der Einigkeit, dass keine Partnerin gegen den Willen der anderen Partnerin abstimmt. Wenn eine Partnerin “Nein” sagt, wird der Antrag abgelehnt.

Die Opposition kann das natürlich ausnützen, indem sie Anträge stellt, die die eine Koalitionspartei inhaltlich gut finden muss oder gar selbst früher schon gestellt hat. Nach der erwähnten Koalitionslogik bleibt der angesprochenen Regierungspartei jetzt nichts anderes übrig, als mit zugehaltener Nase gegen ihre eigenen politischen Forderungen zu stimmen.

Was die Opposition davon hat? Dreierlei. Erstens treibt sie einen Keil zwischen die Regierungsparteien, was desto leichter geht, je weiter diese inhaltlich auseinander stehen. Zweitens kann sie der einen Koalitionspartnerin “Umfallen” vorwerfen. Und drittens ist das, wie schon erwähnt, eine der Möglichkeiten einer Oppositionspartei, ein Thema in die öffentliche Debatte zu bringen. Das parlamentarische Spektakel bekommt nämlich oft relativ viel Aufmerksamkeit.

Schauen wir uns das an einem Beispiel aus der heutigen Debatte an. Ich greife dieses willkürlich heraus, es gibt heute – wie an so gut wie jedem anderen Plenartag – mehrere davon.

Der geneigten Politikbeobachter*in wird vielleicht schon aufgefallen sein, dass es zwischen dem ÖVP-Bauernbund und den Grünen eine gewisse inhaltliche Diskrepanz gibt, wenn es um die Beurteilung von konventioneller Landwirtschaft mit ihrem Hang zu Monokulturen, ihrem Einsatz von Spritzmitteln und Antobiotika und so weiter geht. Die Grünen streben eine wesentlich andere Landwirtschaft an. Im Regierungsprogramm finden sich zu diesem Thema naturgemäß viele Kompromisse, und hinter den Kulissen wird viel und intensiv diskutiert.

Bild: marfis75 on flickr cc-by-sa
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In dieser Situation grätscht jetzt die bisher weder in Landwirtschafts- noch in Umweltfragen als besonders engagiert aufgefallene SPÖ hinein und eröffnet den ersten Akt mit einem Entschließungsantrag “betreffend Einleitung einer umfassenden ‘Bio-Wende’ in der österreichischen Landwirtschaft”.

Inhaltlich gibt der Antragstext nicht viel her, man fordert mit ein paar Gemeinplätzen ein besseres Fördersystem, weniger Gift auf den Feldern und ähnliches, aber das ist auch ganz egal. Es geht um das Spektakel.

Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich diesen Text schreibe, ist die Debatte gerade im Gang, aber das macht auch nichts. Der Lauf der Dinge steht ja schon fest. Die Opposition wird sich auf die Grünen einschießen, der Regierung vorwerfen, sich zu wenig zu engagieren, und die eigenen Forderungen hervorheben. Die Regierungsparteien werden erzählen, dass sie eh alles tun, um die Forderung umzusetzen. Zu diesem Zweck haben sie einen eigenen Antrag eingebracht.

Die wesentlichen inhaltlichen Unterschiede dieses Antrags zu dem der SPÖ muss man mit der Lupe suchen. Beide Texte sind recht unkonkret, sie legen bestenfalls vage Ziele fest.

Im nächsten Akt, der laufenden parlamentarischen Debatte, bitten beide Seiten die jeweils andere, dem jeweils eigenen Antrag zuzustimmen. Man greift vielleicht einzelne Abgeordnete der anderen Seite heraus und bedankt sich bei denen für ein kleines Zeichen der Kooperation. Am Ende wird der Antrag der SPÖ wie schon im Ausschuss abgeleht werden, der der Koalition angenommen. FPÖ und NEOS können einem der Anträge oder beiden zustimmen oder es sein lassen. Als letzten Akt wir die SPÖ ihr bestes geben, den “Umfaller” der Grünen in die Medien zu tragen. Der krönende Erfolg wäre ein Beitrag in der Zeit im Bild oder eine Intervieweinladung in die ZiB2.

So oder sehr ähnlich spielt sich das immer selbe Stück in jeder Plenarsitzung des Nationalrates mehrfach ab, und zwar schon seit Jahrzehnten. Nutznießer davon ist die ÖVP, die traditionell weniger in die Mangel genommen wird als ihre jeweilige Partnerin. Die Häufung hat auch einen Sinn: Je öfter die Geschichte vom “Umfallen” kleben bleibt, desto eher wird das als Charakterschwäche wahrgenommen und nicht als Teil des Spiels. Die SPÖ hat das früher durchaus nachhaltig beschädigt.

Einen Unterschied sehe ich allerdings schon: Die Grünen haben, anders als die SPÖ, noch nicht resigniert, was die Zusammenarbeit mit der ÖVP betrifft. Sie geben, vor den Kulissen ebenso wie dahinter, noch immer ihr Bestes, der Truppe um Sebastian Kurz zumindest kleine Zugeständnisse abzuringen, wo die Sozialdemokratie untätig blieb. Im aktuellen Beispiel stellt sich das so dar, dass die ÖVP öffentlich und in einer Abstimmung dem Ziel der nachhaltigen und umweltgerechten Bewirtschaftung zustimmt, und auch der Forderung nach konkreten Maßnahmen und der Feststellung, dass so die Versorgung mit Lebensmitteln am besten gesichert werden kann. Die Ausgestaltung dieser Maßnahmen bleibt natürlich Verhandlungssache.

Wie viel Erfolg die Bemühungen zeitigen werden, kann man legitim bezweifen. Das ist aber immer so. Nicht umsonst ist Politik das Bohren harter Bretter.

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